Tag 2: Mit dem Segway auf dem Schrottfrachter unterwegs

Es ist schon erstaunlich, mit wie vielen netten und interessanten Menschen man in Kontakt kommt, wenn man nur offen auf sie zugeht. Natürlich trägt mein Segway als „Eye-Catcher“ einiges dazu bei, schneller Kontakte zu knüpfen, aber es ist trotzdem toll, anzusehen, welche Hilfsbereitschaft einem von wildfremden Menschen entgegengebracht wird.

Aber der Reihe nach: Gestern Morgen bin ich um 2.00 Uhr von meinem Pitstop bei McDonalds in Gelsenkirchen wieder aufgebrochen. Und wohin bin ich gefahren? Richtig! Ich war in der für Dortmunder „verbotenen Stadt“ unterwegs, und zwar „Auf Schalke“.

Im Dunkeln fuhr ich an der Glückauf-Kampfbahn, dem wohl heiligsten Tempel in diesem Stadtteil, vorbei. Hier wurde in der für Schalker goldenen Zeit des Fussball-Spiels Geschichte geschrieben – ist zwar schon ein wenig her, aber man spürt schon ein wenig die Magie des Ortes. Leider war es zu dunkel, um hier anständige Fotos zu machen.

Wie in vielen Ruhrgebiets-Orten mit großer Zechen-Vergangenheit, gibt es auch in Gelsenkirchen-Schalke eine Zechenanlage, die zu einem Kultur-, Veranstaltungs- und Begegnungszentrum umgebaut worden ist: die Zeche Consolidation. Von hier fuhr ich, am Gelsenkirchenener Zoo vorbei, weiter nach Wanne-Eickel.

Steckdosen-Suche morgens 4.50 Uhr

In Alt-Crange, dort wo im Sommer die Cranger Kirmes stattfindet, bemerkte ich, das ich den Segway bei McTanke in Gelsenkirchen leider nicht genug aufgeladen hatte. Versucht ihr mal morgens um 4.50 Uhr eine Steckdose für einen Segway zu finden: keine Tankstelle, keine Kneipe, die geöffnet hat, nichts, außer einem kleinen Frühstücks-Kiosk mit Bistro, in dem eine kleine nette Oma Frühstücksbrötchen und Kaffee vorbereitete.

In dem kleinen Bistro neben dem Kiosk durfte ich meinen Segway reinstellen und aufladen. Spannend, wer so alles zwischen 5 und 8 Uhr hier auftaucht: Hafenarbeiter, die sich hier jeden Morgen treffen und den ersten Kaffee gemeinsam zu sich nehmen (natürlich die Zeitung mit den vier großen Buchstaben ständig vor den Augen), Rentner, die um 5 Uhr bereits wach sind und hier ihr vorbereitetes Frühstück sofort nach Ankunft auf den Tisch gestellt bekommen und ab 7 Uhr Frühstücksgruppen, bei denen ich gerne wüsste, was sie sonst noch tun, außer sich hier zu treffen und jeden Morgen etliche Stunden gemeinsam zu verbringen.

Zum Glück habe ich diesen kleinen Laden gefunden, denn zwei Kranarbeiter aus dem Hafen erzählten mir von einem französischen Binnenschiffer, der gerade am Pier im Herner Hafen beladen wurde und am Nachmittag nach Lingen in Richtung Norden aufbrechen wollte.

Um kurz nach acht machte ich mich auf den Weg in den Hafen um den Franzosen zu suchen. Die Beschreibung der Kranführer war perfekt: 20 Minuten später stand ich am Pier vor der „Surcouf“, einem Frachtschiff, das gerade mit Stahlschrott beladen wurde.

Innerhalb von zwei Minuten Besatzungsmitglied

Und dann die Überraschung. Der freundliche und deutsch sprechende tschechische Matrose Richard machte mich mit seinem ebenfalls perfekt deutsch sprechenden französischen Kapitän Thomas bekannt. Nach zwei Minuten waren wir uns einig: ich wurde eingeladen, bis zur Kanal-Zweigung am Mittellandkanal, mitzufahren. Umsonst und mit eigener Kajüte.

Nach zwei Minuten Kennenlernen war ich nun das neue Besatzungsmitglied. Thomas gab mir den Rat, im nicht weit entfernten Supermarkt genügend Proviant einzukaufen, da er nicht genau wisse, wo wir abends anlegen würden.

Um die Zeit bis zum Nachmittag zu überbrücken, fuhr ich am Vormittag zum RWE-Museum ins Umspannwerk nach Recklinghausen. Dort hatte ich vor ein paar Wochen die Museumsleiterin getroffen, die mich damals eingeladen hatte, bei meinem nächsten Besuch erneut vorbeizuschauen. Leider war sie gestern nicht da, aber der nette Mitarbeiter am Empfang lud mich ebenfalls zu einer geführten Museums-Tour ein.

Eine tolle Ausstellung, die hier zusammengestellt wurde. Die Geschichte der Elektrizität und die Entwicklung der unterschiedlichen elektrischen Maschinen und Geräte werden hier ebenso sehr anschaulich dokumentiert, wie die technischen und physikalischen Prozesse plastisch und anschaulich verdeutlicht werden. Und das Besondere: Man darf alles anfassen und viele Dinge auch ausprobieren.

Meinen Proviant im Gepäck, traf ich am frühen Nachmittag wieder an „meinem“ Schiff ein. Der Beladevorgang dauerte noch an. Es fehlten noch 300 Tonnen Schrott, die Thomas noch aufnehmen wollte. Ich wusste gar nicht, dass das so lange dauert. Die Schiffsführer und Besatzungsmitglieder führen währenddessen normalerweise Besorgungen aus, oder nehmen notwendige Reparaturen am Schiff vor.

Richard flexte irgendwelche Stahlteile am Laderaum ab. Ich fuhr mit dem Segway durch den Hafen und unterhielt mich mit Kranführern, Vorarbeitern und anderen Kapitänen und Besatzungsmitgliedern. Maik, ein ostfriesischer Frachterführer, war stolz wie Oskar, als ich ihn auf eine Segway-Fahrt am Belade-Pier einlud.

Um 16.15 Uhr war es dann endlich soweit: Die Beladung war abgeschlossen, Richard löste die Taue vom Poller am Pier und Thomas legte das Schiff langsam in die Fahrrinne des Kanals. Wir hatten abgelegt und meine Schiffsreise begann. Mit durchschnittlich acht Stundenkilometern fuhren wir Richtung Nordosten. Am Recklinghauser Stadthafen vorbei in Richtung Herner Schleuse.

Dort angekommen, merkte ich erst einmal, wie gewaltig diese Schleuse vom Schiff aus gesehen ist. Wir fuhren in die riesige Schleusenkammer und wurden zum Glück alleine und sofort geschleust. Richard erzählte mir, dass es manchmal, wenn nicht genügend Schiffe in Sicht sind, bis zu drei Stunden dauern kann, bis der Schleusenvorgang eingeleitet wird.

Es war ein sonniger allerdings auch kühler Nachmittag, als wir langsam entlang der Kanalwege Richtung Datteln dahinfuhren. Richard erzählte mir von seinen nunmehr 16 Jahren als Matrose auf Binnenschiffen in Deutschland und den Niederlanden. Von den Härten des Jobs in den Wintermonaten und dem Stress, den die holländischen Schiffsführer unter den Mannschaften verbreiten. Mindestens ein bis zwei Tote gebe es jedes Jahr unter den Mannschaften der Binnenschiffer.

Gegen 20 Uhr legten wir am Pier des Liegeplatzes in Datteln an. Thomas hatte beschlossen, am nächsten Morgen gegen 7 Uhr weiterzufahren und den Rest des Nachmittags auszuruhen. Das hatte ich auch bitter nötig. Nach dem anstrengenden Vortag und der nicht geschlafenen Nacht wollte ich eigentlich noch ein paar Sachen auf Facebook und Twitter vorbereiten und danach in die Koje verschwinden. Von wegen.

Thomas und Richard luden mich in die gegenüberliegende Hafenkneipe zum Bier ein. Ich war um 21 Uhr nach zwei Bier bereits total K.O. und fiel um 22 Uhr vor Müdigkeit in die Koje. Bevor ich in den Tiefschlaf fiel, dachte ich noch über Richards Worte vom Nachmittag nach: „Früher waren die Matrosen aus Stahl und die Schiffe aus Holz, heute sind die Schiffe aus Stahl und die Matrosen aus Holz.“

Mast und Schotbruch. Euer Seggy

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