Die NRW-Wahl war vorbei – mein Ruhetag in Minden auch. Ich musste weiter und möglichst schnell ein Schiff finden, auf dem ich in Richtung Hannover und Hamburg mitfahren könnte. Und dann kam Walter.
In der SPD-Parteizentrale in Minden herrschte bereits reges Treiben, als ich gegen 9 Uhr dort eintraf, um meinen Segway abzuholen. Das nun bekannt gegebene Endergebnis der NRW-Wahl sorgte schon für Ratlosigkeit: Mit wem soll man mögliche Koalitionsgespräche führen, mit wem nicht.
Es war eine klassische Patt-Situation, die sich da für die Genossen aufgetan hat – wenn man nicht mit den Linken zusammen arbeiten wollte. Die Meinungen waren hier in Minden zweigeteilt.
Aber eines stand immerhin fest: Man ist wieder wer in NRW. Die SPD ist wieder da. Ich fuhr in den Mindener Hafen, um ein Schiff in Richtung Hannover zu „entern“. Man lernt ja so einiges, wenn man sich eine Zeit lang unter Binnenschiffern bewegt hat. So zum Beispiel auch, dass auch hier Netzwerke und freundliche Helfer wichtig sind, um weiterzukommen.
Ich fuhr ein „Bunkerschiff“ am Versorgungs-Pier im Hafen an. Bunkerschiffe versorgen vorbeifahrende Schiffe mit dem notwendigen Brennstoff, Schmieröl und was die Maschinen sonst noch so benötigen. Jurek, der Kapitän des Brennstoff-Versorgers „EMSLAND 1“ hatte gerade eine Ruhephase, nachdem am Morgen schon einige Schiffe von ihm betankt worden sind.
Auch ich wurde während unseres netten Gesprächs am Pier sofort von ihm an das Strom-Tankkabel seines Schiffes gelegt. Er erkannte meine Lage sofort und empfahl mir, mich mit dem Schleusenmeister der nicht weit entfernten Schachtschleuse in Verbindung zu setzen, um eine mögliche Mitfahrgelegenheit zu sondieren.
Die Schiffe, die sich zur Schleusung per Funk an den Schleusen anmelden, geben ihren Namen, ihre Länge, die Gesamt-Tonnage, den Ladezustand und, für mich ganz wichtig, die Wegstrecke der Reise an.
Per Funk erkundigte Jurek sich beim Schleusenmeister, ob Schiffe in Richtung Hannover vor der Schleuse auf das Schleusen warten. Der Holländer, den ich vor der Schleuse anfuhr, konnte mir leider nicht weiterhelfen – seine belgische Reederei erlaube ihm nicht, Passagiere mitzunehmen.
Er empfahl mir aber, die „MS OPAL“, die vor ihm geschleust wurde und Kohle nach Hannover bringen würde, einige Kilometer hinter der Schleuse abzupassen. Der Kapitän wolle dort am Liege-Pier Proviant und vor allem seine Frau wieder an Bord nehmen, die die notwendigen Dinge an Land besorgte. Meine Chance.
Ich „bretterte“ den Kanal-Radweg entlang und fuhr Segway-Höchstgeschwindigkeit: 20 km/h! Vor mir tauchte die „Opal“ auf. Wie der belgische Holländer schon sagte, lag sie am Pier verzurrt. Ich fuhr neben das Steuerhaus und da stand er: Walter. Walter wäre der Binnenschiffer, den ich für eine moderne Neu-Auflage der 70er Jahre Fernsehserie „MS Franziska“ als Kapitän casten würde.
Ein wenig knurrig und wortkarg durchdachte er mein Anliegen auf Mitnahme, stimmte aber mit einem kurzen „O.K., dann kommen sie mal mit ihrem Gefährt an Bord“ zu. Mann, war ich froh diesen Satz zu hören.
Nachdem auch Theresa, Walters Lebensgefährtin und die gute Seele des Schiffs, mit den Einkäufen an Bord eintraf, machte der Bootsmann Bernhard die Leinen los und wir legten ab. Hannover ich komme.
Der Schiffshund Ossi, ein schwarzer Labrador, hatte mich sofort in sein Herz geschlossen und führte mir alle Spielsachen vor, die er an Bord finden konnte: Couch-Kissen, Arbeitshandschuhe und meine Computertasche. Auch auf der „MS OPAL“ fiel mir wieder auf, wie selbstverständlich man zur Mannschaft gehört.
Theresa bereitete das Mittagessen für „ihre Männer“ an Bord zu und für mich war am Esstisch mit eingedeckt, als sie mich in die Kajüte rief. Beim Essen kamen Walter und ich uns näher. Das anfängliche „Sie“ wurde auf „Du“ umgestellt. Er erzählte mir seine Sichtweisen über die Schifferei, das Leben an Bord und seine Pläne in zehn Jahren, wenn er den Beruf an den Nagel hängt und sich dem Ruhestand zuwendet.
Mit 9 km/h fuhren wir den Mittellandkanal entlang. Auf der Brücke der „MS OPAL“ befand sich Walters Kommandostand. „Big Walter is watching you“, mit drei Videokameras beobachtete er die Schiffsumgebung auf dem Wasser. „Bei voller Ladung und in Schleusen sei es manchmal äußerst schwierig die Übersicht zu bewahren, deshalb habe ich die Kameras installieren lassen“, erklärte er mir.
Ein kleiner Flachbildfernseher mit Satellitenprogramm sorgt für ein wenig Unterhaltung während der langsamen Fahrt auf dem Kanal. Im Nordhafen Hannover kamen wir gegen 18 Uhr an. Walter war der erste Kohlefrachter, der am Kraftwerkspier anlegte. Seine Ladung sollte am frühen Morgen um 6 Uhr gelöscht werden. Jetzt war Feierabend und Zeit für ein Bier – ein kühles Herforder Pils.
Plötzlich schlug Ossi an und die Kajütentür ging auf. Ich fing an zu lachen, als ich sah wer hereinkam: Freek, der belgische Holländer, der mir den Tipp mit der „MS OPAL“ in Minden gegeben hat. Er machte mit seinem Schiff direkt hinter der „OPAL“ fest und kam auf ein Bier bei seinem alten Kumpel Walter vorbei.
Ich hörte beiden noch eine Weile bei ihrem Fachsimpeln zu, bevor ich mich mit dem Segway auf den Weg in die Hannoveraner Innenstadt verabschiedete. Walter und ich hatten vereinbart, dass ich am nächsten Tag bis zur Schleuse Sülfeld – am Abzweig des Elbe-Seitenkanals – mitfahren könne. „Sei pünktlich um 9 Uhr hier, sonst fahre ich ohne dich weiter“, gab er mir mit auf den Weg und winkte mir zu, als ich aus dem Hafen fuhr.
Ich hatte von unterwegs eine Übernachtungsanfrage in die Couchsurfing-Community auf www.couchsurfing.org gestellt und war erstaunt, wie viele mir hier in Hannover ihre Couch zum Übernachtung zur Verfügung stellen wollten. Ich wählte Kristin aus dem Ostviertel aus, mit der ich bereits bei meiner Ankunft im Nordhafen telefonierte.
Ihrem CouchSurfing-Profil entnahm ich, dass Kristin für eine PR-Agentur in Hannover arbeitet und einige Zeit in London und Südafrika gelebt und gearbeitet hat. Es versprach ein interessanter Abend zu werden. Dazu Morgen mehr.
Euer Seggy
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