Was macht man nur, wenn man ein Schiff verpasst? Diese Frage hätte ich beinahe im Nordhafen von Hannover beantworten müssen. Der Abend bei Kristin, meiner Couchsurfing-Gastgeberin in Hannover, war kurz, aber interessant. Kristin arbeitet in einer PR-Agentur, die für Volkswagen arbeitet. Sie hat in ihrem Leben schon so manches Land nicht nur bereist, sondern auch in ihnen für längere Zeit gelebt – zuletzt Südafrika.
Man bemerkte bei ihren Erzählungen schon ein wenig Wehmut, aus jobtechnischen Gründen wieder nach Deutschland gekommen zu sein. Aber arbeiten hier in Deutschland funktioniert einfach viel geordneter und solider. Zum Glück ermöglicht ihr der neue Job, ebenfalls Reisen zu können, wenn auch nicht für einen so langen Zeitraum wie früher.
Ich stand zeitig am Morgen auf. Walters Hinweis, er könne nicht am Entlade-Pier in Hannover auf mich warten, wenn ich mich verspäten würde, musste ich ernst nehmen. Die Abladestellen müssen nach erfolgter Löschung des jeweiligen Schiffes, schnell für Andere wieder freigemacht werden. Nachdem ich mich bei Kristin für ihre schnelle und unkomplizierte CouchSurfing-Zusage und das Gespräch vom Abend bedankte, machte ich mich gegen kurz vor 8 Uhr auf den Weg in den Nordhafen.
Meiner groben Planung nach musste es reichen, um kurz nach halb neun im Hafen an der MS OPAL anzukommen. Aber dann rief Walter mich an und teilte mir mit, dass das Schiff schneller als gewöhnlich gelöscht worden sei und ich mich beeilen müsse – sie müssten in den nächsten Minuten ablegen. Bei mir kam Panik auf: Nicht nur, dass ich den ganzen Hafen noch durchqueren musste, ich hatte auch kaum noch Power in den Akkus des Segway.
Kristin hatte bei sich zu Hause keine Möglichkeit, den Segway im Hausflur, Hinterhof oder Keller aufzuladen. So blieb mir nichts anderes übrig, als zu pokern und zu hoffen mit der notwendigen Restenergie pünktlich an der OPAL anzukommen. Ich sage nur soviel: buchstäblich in letzter Sekunde traf ich mit einem kraftlosen Segway am Pier ein. Walters Gesicht sprach Bände.
Zum Glück sind Leute wie Walter keine nachtragenden Menschen. Auf der Fahrt Richtung Elbe-Seitenkanal saß ich die ganze Zeit neben ihm auf der Brücke und wir unterhielten uns über Familie, Fernsehen und natürlich, über die Schifffahrt im Allgemeinen.
Am Nachmittag kam für mich erneut der Abschied von einem Schiff und seiner Besatzung, das mich weitere 2 Tage über einen der für mich unbekannten Kanäle mitgenommen hatte. Walter, Theresa und Bernhard waren der Gegenentwurf zu Thomas und Richard von der SURCOUF, aber genauso hilfsbereit, freundlich und selbstlos.
An der Schleuse Sülfeld, kurz hinter dem Abzweig des Elbe-Seitenkanals vom Mittellandkanal, verließ ich die OPAL. Ich hatte den Eindruck, dass auch Walter sich an mich in den letzten zwei Tagen gewöhnt hatte und meine, auch bei ihm ein Schmunzeln in dem sonst eher reservierten Gesicht entdeckt zu haben. Ossi, der Schiffshund, schien mich richtig in sein Herz geschlossen zu haben und jaulte und bellte an Bord, als die OPAL ablegte und auf die Schleuse zufuhr – diesmal ohne mich.
An der Schleuse angekommen, befolgte ich einen Rat von Walter: „Wende dich an den Schleusenmeister. Der muss wissen, welches Schiff an der Schleuse in Richtung Elbe-Seitenkanal und Hamburg fährt. Vielleicht kann er dir helfen und spricht für dich mit den Schiffsführern und organisiert eine Mitfahrgelegenheit.“
Ich war überrascht, als ich am Steuerstand der Sülfeld-Schleuse den Schleusenmeister antraf. Ich hatte mir einen Schleusenmeister irgendwie anders vorgestellt. Jörn trug eine Camouflage-Hose und ein lockeres Sweatshirt. Mit dem Outfit und seinen kurzgeschorenen Haaren, sah er eher aus wie ein ‚Schleusen-Besetzer‘, nicht jedoch wie der Mann, der die Schleuse über Video-Monitiore, Kameras und mit Hilfe einer Computer-Maus steuert. Ich durfte mich frei auf dem Schleusengelände bewegen und bekam so einen Einblick in das ‚Wunderwerk‘ Schleuse.
Das Einzige was fehlte war allerdings ein passendes Schiff für mich – weit und breit keines für meine Strecke in Sicht. Ich musste weiter und verabschiedete mich von Jörn. Als ich die Tür verließ, rief er mir plötzlich hinterher: „Ich wohne bei Kilometer 30 direkt am Elbe-Seitenkanal. Wenn du keinen Schlafplatz bzw. kein Schiff findest, ruf mich an. Kannst auf jeden Fall bei mir schlafen, wenn du willst.“ Er gab mir seine Visitenkarte und ich fuhr los. Cool, wer einem alles einen Schlafplatz anbietet.
Der Elbe-Seitenkanal ist eher langweiliger Natur. Die Uferbereiche sehen überall ähnlich aus. Kaum visuelle Abwechslung. Es wurde dunkler und nach einem kurzen Strom-Tankstopp bei Petra und Peter, den Dauer-Bewohnern einer Ferienhaus-Siedlung bei Kilometer 19, entschied ich mich, Jörns Übernachtungsangebot anzunehmen und informierte ihn telefonisch über meinen anstehenden Besuch.
Gegen 23.10 Uhr kam ich in Vorhop, einem kleinen Dorf am Kanal an. Jörn holte mich am ‚Dörphus‘ mit dem Fahrrad ab und wir fuhren zu ihm nach Hause. Heike, seine Frau, fand die ganze Aktion einfach nur witzig und spannend. Nachdem ich alle bisher geschehenen Reisedetails mitgeteilt hatte, warf Jörn meine dreckige Wäsche noch in die Waschmaschine und hing sie später zum Trocknen auf den Dachboden auf. Mit dieser Vollpension hätte ich nun wirklich nicht gerechnet.
Um 2.30 Uhr ging ich schließlich wohlbehütet und zufrieden in meinem Schlafsack auf dem Dachboden zu Bett. Morgen geht’s weiter.
Ciao, Seggy
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