Kein Schiff für mich in Sicht. Die Fahrt entlang des Elbe-Seitenkanals gestaltet sich als lang und monoton. Nachdem Jörn’s Frau Heike am Vormittag einen Crash-Kurs im Segwayfahren von mir bekommen hat, machte ich mich gegen Mittag weiter auf den Weg. Eine erbeute Mitfahrgelegenheit auf einem Schiff zu finden, schien schwieriger als bei den letzten beiden Malen am Mittellandkanal.
Am Elbe-Seitenkanal gibt es weniger Liegeplätze für Binnenschiffer, fast keine Häfen, eine Schleuse und ein Hebewerk – allerdings weit voneinander entfernt für einsame Segway-Reisende. Meine Fahrt gestaltetet sich zu einer Tank-Stopp-Planung ähnlich früher in der Formel 1.
Bei meinem Gesamtgewicht, der Außentemperatur (es war richtig kalt) und der zu fahrenden Strecke (Schotterpiste) hieß das, mindestens alle 15-20 Kilometer Nachlade-Pausen einlegen und das für ca. zwei bis drei Stunden. Auf dem Schiff war das Reisen am Kanal deutlich bequemer.
An einer Brücke am Kanal wurde ich in die Geheimnisse des Kanal-Angelns eingeführt. Daniel, ein 21-jähriger Angel-Junkie erklärte mir alle Tricks der modernen „Angelei“. Wusstet ihr, dass es elektronische Biss-Melder gibt? Daniel ist seit ein paar Wochen arbeitslos und tankt beim Angeln Energie für die Jobsuche – hier in der Region sind Arbeitsplätze rar gesät.
Stolz zeigt Daniel mir seinen heutigen Fang: zwei herrliche nicht ganz 50 Zentimeter große Zander. Eigentlich mag er keinen Fisch. Ab und zu nimmt er allerdings einen Fisch für seinen Vater mit nach Hause, ansonsten gewährt er den gefangenen Fischen Gnade und wirft sie nach kurzer Entnahme und Begutachtung wieder in den Kanal.
Da ich selbst beim Angeln in der Vergangenheit nicht wirklich Glück hatte – in der Jugend war ich selbst einmal kurz Köder, als sich der Angelhaken beim Auswerfen in meine Stirn bohrte – beließ ich es beim coolen Foto-Posing und warf die Rute nur zum Schein vom Segway in Richtung Wasser aus.
Zum Abschied schenkte mir Daniel einen seiner beiden Zander mit den Worten: „Vielleicht kannst du ja heute Abend damit punkten, wenn du wieder eine Schlafgelegenheit bei einem Fremden suchst. Grillst du den halt mit deinem Gastgeber zusammen. Musst ihn nur noch ausnehmen und entschuppen.“ Keine schlechte Idee. Ich sagte „Petri Heil!“ und verabschiedete mich zusammen mit meinem Edel-Fisch von Daniel.
Nach einem weiteren Tank-Stopp beim örtlichen Edeka in Bad Bodenteich kam ich abends an der Schleuse Uelzen an. Auch hier war „tote Hose“ und kein Schiff, welches mich hätte mitnehmen können, in Sicht. Es wurde dunkler und an der Gaststätte neben der Schleuse tankte ich erneut sicherheitshalber anderthalb Stunden Strom nach.
Nicht wissend, was mich in dieser Nacht noch alles erwarten würde, fuhr ich im Dunkeln weiter Richtung Uelzen, bis mich eine Gruppe auf der Straße stehender Jugendlicher an der Weiterfahrt hinderte. Sitzblockade in der Nacht? Nein, Abschiedsparty für die ecuadorianischen Austauschschüler des Herzog-Ernst-Gymnasiums in Uelzen.
Daniel, Michel und Josue, alle 15 Jahre alt, waren für zwei Monate auf Besuch in Deutschland und mussten in den kommenden Tagen wieder nach Ecuador zurück. Ende Mai würden dann Maja, Jannik, Julian und Ole aus Deutschland für 2 Monate nach Ecuador fliegen um dort Land, Sprache und Leute intensiver kennenzulernen.
Klasse Sache mit anscheinend langer Tradition in Uelzen. In der Vergangenheit wurden bereits Jugendliche aus Peru und anderen lateinamerikanischen Ländern in die Heide geschickt und umgekehrt. Leider bin ich zu alt und spreche auch kein Spanisch, um mich den vier jungen Deutschen Ende Mai anschließen zu können.
Über den Ort und meine Befindlichkeit, wo und wie ich den Rest der Nacht verbracht habe, möchte ich nicht erneut im Detail nachdenken und fasse mich deshalb kurz. Ich will hier nur folgendes sagen: Es war kalt, feucht und windig – ein Sportplatz mit Trainerbank und funktionierender Außensteckdose am Stadtrand von Uelzen.
Nach drei Stunden gekrümmtem Liegen auf der besagten Trainerbank kann ich nur eines sagen: „Ich hab‘ Rücken.“
Bis Morgen. Seggy
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